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Dieser Blog dreht sich ums Studentenleben in Korea. Die Hauptseite meiner Blog-Welt ist unter folgender Adresse zu sehen:

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Freitag, 1. Februar 2008

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40 Minuten noerdlich von Seoul
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Warnung: Dieser Eintrag wird womoeglich der laengste, den ich hier je geschrieben habe. Ich hoffe jedoch, dass er auch der interessanteste wird, da dieser Bericht kein "Tour"-Bericht als solcher ist, sondern einen noch immer recht seltenen Einblick in eine bestimmte Seite Nordkoreas bietet.
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Tipp: Die im Posting gezeigten Fotos sind gewaehlt, um Teile des Posts verstaendlicher bzw. anschaulicher zu machen. Teils muss man durch Klicken vergroessern. Die insgesamt 106 Fotos, die durch die Kontrollen gekommen sind, sieht man in der Picasa-Galerie. Da diese aber meist touristische Fotos von traditionellen Gebaeuden sind, muessen sich Leute, die an so etwa nicht interessiert sind, kaum die Muehe machen sich dort durchzuklicken. Wobei auch dort einige wunderschoene Fotos dabei sind und ihr sonst nicht wisst, wo die Damen in der Goryeo-Dynastie baden gingen und sich dabei von den edlen Herren zuschauen liessen...
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조선민주주의인민공화국 가는 려행
Eine Reise in die Demokratische Volksrepublik Korea
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Dieses Titelbild irritiert nach den Ankuendigungen von Fotokontrollen vielleicht schon die ersten Leser. Es ist tatsaechlich nicht meins. Aber ich habe dieses Foto ausgewaehlt, weil es am besten klarmacht, was wir zwar zu sehen bekamen - aber niemandem ausserhalb Nordkoreas zeigen sollten. Das Bild eines einstmals relativ wohlhabenden Landes im sozialistischen Stil, das sich heute in einem Zustand befindet, der von mir nicht nur wegen der total zerstoerten Landschaft nicht mal als mittelalterlich, sondern eher nur noch als "marsianisch" bezeichnet werden kann.
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Dieses Foto zeigt eine Szene, wie sie sicher auch in einer suedkoreanischen Provinzstadt entstanden sein koennte - der Unterschied ist nur, dass dies in Suedkorea die Ausnahme waere, hier findet man kaum andere Szenen. Mit Plastikplanen zugehaengte zerbrochene Fensterscheiben, leere Kauflaeden, aber die klischeehaften Bilder der Kims, wo sogar der Gehweg davor penibel gepflegt ist..kein Stueck Farbe blaettert ab, waehrend im einzigen Kaufhaus nebenan im Schaufenster drei alte Wollpullover als Aushang haengen - kein einziger Kunde waehrend der 30 Minuten, wo ich einen Blick drauf habe.
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Doch zurueck zum Anfang.
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Gwangwhamun-Lovesong (광화문연가)
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Natuerlich konnte ich vor Aufgeregtheit nur knapp 2 Stunden schlafen und machte mich dann viel zu frueh auf ins Zentrum - natuerlich per Taxi, weil zu dieser Zeit weder U-Bahn noch Bus fuhren. Vorbei an Hochhaeusern, breiten Buergersteigen, Alleen, kurz zum Geschichtsmuseum und anschliessend in einen Convenience Store was zu Trinken holen bis der Bus schliesslich kam. Als es schliesslich um 6 Uhr mit leichter Verspaetung losging (unsere Chinesin war zu spaet...-.-) fing der Verkehr bereits an dicht zu werden, Busse fuhren, lauter Menschen auf der Strasse, das Leben begann.
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Je weiter noerdlich es auf der Autobahn ging, die ich bereits zwei Mal bereist hatte (einmal bis ans Observatorium und einmal "theoretisch" auf nordkoreanischem Boden in der DMZ), desto unheimlicher wurde es. Was man tagsueber nicht mitbekommt, ist, dass hier die ganze Nacht ueber an vielen Strecken-Abschnitten das Licht aus ist, dafuer aber riesige Suchscheinwerfer alles ableuchten und Hubschrauber umherfliegen. Nur an vereinzelten Wachposten sieht man Licht brennen.
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Buerokratie, wenn auch vorbildlich
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Eine erste Einweisung zu den Ausreiseformalitaeten erwartete uns im hochmodernen, penibel sauberen "Sued-Nord-Aus- und Einreisebuero " (남북출입사무소). Das Prozedere geht sehr schnell, schon hier gehen mir einige mitgereiste aeltere Herrschaften auf den Geist, die auch nach der dritten Ansage nicht verstehen, wo sie sich anstellen muessen, waehrend ich bloeder Auslaender das schon beim ersten Mal kapiert habe.
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Das Personal von Hyundai Asan ist aeussert freundlich, offensichtlich bis ins Detail geschult und liefert jedem seinen Packen an Ausweisen. Allein an Ausweisen braucht man einen fuer den Sueden, einen fuer den Norden und zusaetzlich seinen Reisepass. Dazu bekommt man Zoll-Unterlagen, eine Broschuere, Busfahrtickets und das alles in einem schicken Umhaenger
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Womit ich keinerlei Kritik ueben moechte. Alles funktioniert sehr reibungslos, ist trotz der Zahl an Teilnehmern relativ schnell erledigt, aber ist dafuer, dass Suedkorea den Norden per Verfassung noch immer als Teil des eigenen Territoriums betrachtet dann doch recht aufwendig. Zumindest die Untersuchung des Gepaecks (alles wie auf einem Flughafen) erweist sich als meist ueberfluessig, da so ziemlich alles nicht in den Norden eingefuehrt werden darf.
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Handies sind grundsaetzlich verboten. Ebenso Zeitungen, Zeitschriften und Buecher, die mit der aktuellen Weltlage zu tun haben oder sued- bzw. nordkoreanischer Geschichte. Genauso alle Geraete, die faehig sind Ton abzuspielen oder aufzuzeichnen. Des weiteren Kameras, sofern sie nicht digital sind. Warum nur Digitalkameras durchkommen, sollte uns spaeter klar werden. Jedenfalls war ich so von meinem Buch ueber koreanische Kunst des 20. Jahrhunderts und allem sonstigen Ballast dieser Welt befreit, der in einem Beutel vakuumversiegelt wurde und von Hyundai Asan im Sueden zwischengelagert wird.
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Der Bus steht einige Minuten. Erst zu einer genau bestimmten Zeit darf der Bus die Linie ueberqueren. Dann fahren die Busse von Dorasan aus. Die Demarkationslinie, die Herr Roh ueberschritten hat, existiert interessanterweise nicht. Sie wurde extra fuer den Gipfel aufgemalt, ums fuer die Fotos bedeutungsschwangerer erscheinen zu lassen. So merkten wir gar nicht, dass wir in Nordkorea ankamen.
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Auf der Achse des Boesen
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Erst als ploetzlich 2 Meter ausserhalb des Busses ein nordkoreanischer Soldat in dieser sozialistischen Uniform auftaucht und danach alle paar Meter ein weiterer, merkt man, dass man sich bereits woanders befindet.
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Sofort werden wir gebrieft: Keine Fotos aus dem Bus, sonst wird die Tour gecancelt. Die Nordkoreaner moegen uns nicht mit "Genosse" anreden und wir sollen die suedkoreanischen Bezeichnungen weglassen. Ein normales "Seonsaengnim" wurde von beiden Seiten festgelegt. Wer sich ausserhalb der Markierungen begibt, dort evtl. sogar Kontakt mit Nordkoreanern aufnimmt, Nordkorea oder Nordkoreaner beleidigt etc. kann mit Geldstrafen belegt werden.
Auch sollte man nicht Nord- und Suedkorea sagen, sondern die Nord- und Suedseite.(남측.북측)
Auch dies sollte sich im Laufe des Tages als problematisch erweisen.
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"Und bitte...Sie werden Szenen sehen, die Sie seit Jahrzehnten im Sueden nicht mehr gesehen haben...trotzdem sollten Sie bitte Abstand davon nehmen zu sagen 'hier siehts ja aus wie in den 60ern' oder aehnliche Dinge, die Nordkorea kritisieren koennten. Sie sollten Sued- und Nord auf keinen Fall miteinander vergleichen. Es ist bereits vorgekommen, dass aeltere Herrschaften unseren nordkoreanischen Kollegen einen Schoko-Riegel angeboten haben mit den Worten 'du siehst hungrig aus, ihr bekommt hier ja nichts Richtiges'. Wir bitten noch einmal von solchen verletzenden Bemerkungen im Namen der Annaeherung zwischen Sued und Nord Abstand zu nehmen. Sie bauen gemeinsam an dem Haus, das Vertrauen heisst"
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Dann am Einreisebuero der Nordkoreaner sah man schon die ersten Veraenderungen der neuen Zeit: Die Offiziere fuhren mit Hyundai-Gelaendewagen umher, das Gebaeude selbst war vom Sueden finanziert und so mit hochmodernen Roentgen-Geraeten ausgestattet. Einen nordkoreanischen Soldaten in seiner duennen abgewetzten Filzuniform zu sehen wie er vor einem hochmodernen Computer sitzt, das war schon so der erste von einigen Kulturschocks.
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Der naechste war dann beim genaueren Hinsehen: Da die Uniformen offensichtlich nicht sehr dick waren und man das hochmoderne Gebaeude wohl nicht heizen konnte, haben die Soldaten von Hyundai billig gefaelschte Burberry-Schals bekommen. So hatte dann jeder unter seiner Volksarmee-Jacke unauffaellig einen solchen Schal, der aber bei manchen Damen doch hervorlugte. Die Widerspruechlichkeit des Regimes lag somit schon nach 2 Minuten im Land in der Luft.
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Ebenso wie der Diesel-Gestank, den man so gut aus dem Ostblock kennt bzw. in den meisten Teilen desselben kannte. Die ersten Minuten inmitten dieser verpesteten Luft waren sehr schwer zu ertragen. Dagegen ist die Seouler Luft wirklich erfrischend.
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Willkommen auf dem Mars
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Wieviel wuerde man von Nordkorea zu sehen bekommen und vor allem was. Das war die Sorge vor der Reise und jetzt, wo sich unsere Delegation mit immer einem Armeewagen der Nordkoreaner dazwischen in Bewegung setzte, bekamen wir eine ganze Menge recht schonungslos mit.
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Es sind keine Geruechte, es ist die bittere Realitaet: Der Norden hat keine Baeume. Keinerlei Baeume. In der Naehe menschlicher Siedlungen (man kann sie kaum Doerfer nennen) gibt es teils nicht einmal Straeucher. Bei fehlender Vegetation, man muss es kaum erwaehnen, haben Huegel im Wind Nordostasiens keinen Halt, sodass ueberall zerklueftete Krater und halbe Huegel herumstehen. Auf der uebrig gebliebenen Haelfte wird dann Ackerbau betrieben. Auf dem steilsten Anstieg sind kleine Felderchen, die vom anstrengenden Kampf um ein wenig Reis erzaehlen.
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Kombiniert mit der roetlichen Lehmerde Koreas, zudem im Winter, bleibt einem dementsprechend kein anderes Wort als "Mars", um diese Landschaft zu beschreiben. Auch die vielen verfallenen einfachen Haeuschen sprechen eine eindeutige Sprache.
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Fuer den Rest der Fahrt wusste ich: Hoffnungsvolle Zeichen, so es sie gibt, wuerde ich mit viel Konzentration und ein wenig Nachdenken suchen muessen.
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Gaeseong - Hauptstadt von Mars-Land
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Man straeubt sich, man moechte ohne Vorurteile ans Land heran gehen, aber natuerlich vergleicht man an allen Ecken mit Suedkorea. Und obwohl die inzwischen im Bus sitzenden "Begleiter" die ganze Zeit versuchen die Leute mit uninteressanten Infos ueber die Geschichte Goryeos, die jeder kennt, zu ermueden, kann ich nicht anders als aus dem Fenster zu gucken und alle Zeichen zu deuten, alles zu vergleichen.
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Und zu meiner Ueberraschung werden wir nicht an der Stadt vorbeigefueht, sondern mitten hindurch. Wieviel von dem, was wir sehen ist echtes Leben, was ist arrangiert?
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Man sieht Leben, wenn auch sehr sehr ruhiges Leben. Einfache Leute in Autos gibt es nicht, aber zu meiner Verwunderung viel mehr Fahrraeder als ich das erwartet hatte - gelten Fahrraeder doch laut vieler schlauer Nordkorea-Buecher als Luxusobjekt, das erst in letzter Zeit fuer kadertreue Menschen erschwinglich geworden war. Inmitten der heruntergekommenen Plattenbauten, der versandeten Wege, der schlammig-gruenen Baeche laufen erstaunlich wohlgenaehrte, verhaeltnismaessig wohlgekleidete Leute herum, alle die gleiche Marke an Fahrrad. Zweifel bleiben, denn warum schieben einige das Fahrrad lieber als zu fahren? Warum gibt es keine Leute, die nicht piekfein angezogen sind? Warum es kaum alte Leute gibt, darueber gibt die Lebenserwartung Nordkoreas Auskunft, aber ist dieses bisschen Leben schon Teil einer Show?
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Und warum sind dann die Haeuser und Wege in einem solch erbaermlichen Zustand? Mit Stoff oder Plastik zugehaengte, zerbrochene Fensterrahmen ohne -scheiben. Holperwege, auf denen nur die Armee mit ihren Hyundai-Jeeps voran kommt.
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Und das, was einen wieder daran erinnert, dass Sozialismus ist: Unendliche Reihen von Denkmaelern, leere Laeden, die ohnehin nur vereinzelt auftauchen. Und natuerlich die Sprueche, die an jeder Ecke in leuchtend roten Farben in des Nordkoreaners Lieblingsschrift die Stadt "verzieren".
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Es sind immer die gleichen, leeren Aussagen, die ich schon nach 10 Minuten ignoriert habe. Nordkoreanern wird es nicht anders gehen, warum also dieses Dekorum, von dem sogar Kim Jong Il schon gesagt haben soll, dass es ihn anoedet?
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Der Grossartige Fuehrer Genosse Kim Jong Il lebe hoch! (위대한 령도자 김정일동지 만세!)
Die Grossartige Militaer-Zuerst-Politik lebe hoch! (위대한 선군정치 만세!)
Es lebe die Sonne des 21. Jahrhunderts General Kim Jong Il (21세기의 태양 김정일장군님 만세!)
Der geliebte und verehrte Fuehrer Kim Il Sung ist fuer immer bei uns (경애하는 김일성 령도자는 영원히 우리와 함께 계신다!)
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Die Liste koennte weiter gehen, doch die Sprueche fuer Kim Jong Ils Mutter und die Partei habe ich nicht mehr im Kopf.
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Jedenfalls gab es selbst im Zentrum Gaeseongs auf einem breiten Boulevard nur vereinzelt Geschaefte. Mal ein Friseur und Barbier, der auf nordkoreanisch "리발관" heisst, mal ein kleines Restaurant, alle paar hundert Meter ein 책방, wo man kostenlos Buecher lesen konnte, die jedoch in einem Zustand waren, den man schon vom Bus aus betrachtet als unlesbar beschreiben muss.
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Menschen hinter Gittern
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Was ebenfalls auffaellt: Dafuer, dass wir uns in einem "sozialistischen Arbeiterparadies", in einem Land befinden, wo es keine Kriminalitaet geben soll, ist es bezeichnend, dass teils bis in den dritten Stock die meisten Wohnungen und alle Geschaefte vergittert sind. Es scheint also noch eine andere Wahrheit zu geben neben den wohlgekleideten und ernaehrten Buerger, die am hellichten Tag ohne Eile auf den Hauptstrassen entlang flanieren.
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Besonders bewegend waren zwei Schulkinder (die offensichtlich um 10 Uhr schon genug gelernt hatten fuer den Tag) und an unseren langsam durch die Stadt fahrenden Bussen entlangrannten und uns - bzw. mir - ausgelassen zuwinkten. Diese Kinder werden, wenn sich nichts aendert, ihr Leben lang lernen, dass Kim Jong Il ihr Vater ist, dass sie ihren unendlichen Reichtum ihm zu verdanken haben. Und jetzt kommen sogar die Auslaender, um sich diesen Wohlstand anzuschauen. Sie werden, wenn sich nichts aendert, nie wissen, dass es ein Medium gibt, das sich "Internet" nennt, in dem man frei seine Meinung aeussern kann. Man verzeihe mir meinen Pathos, aber nie zuvor habe ich den ausgelutschten Wert "Freiheit", Selbstbestimmung des Lebens, Freiheit zu Information etc. so hoch geschaetzt.
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Alle Nordkoreaner, die ich kennenlernen durfte waren von ausgesprochener Freundlichkeit und Offenheit. Fast alle laechelten und das war nicht aufgesetzt. Man verzeihe mir auch diese gewagte Theorie, aber fast scheint es, dass diese Leute gluecklich sind mit ihrem Leben, eben weil selbst sie, die sie mit dem Ausland arbeiten, nur eine vage Ahnung haben, was dort vorgeht.
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Ein Mitreisender musste unserem Touristenfuehrer erklaeren, dass er in einer Firma arbeitet, die Flugreisen nach Europa organisiert, woraufhin der Touristenfuehrer, ansonsten ein freundlicher Mann, etwas verlegen antwortete: "Na Fliegen ist mir doch ein wenig zu gefaehrlich. Wir Koreaner sollten lieber im Land bleiben. Ist unsere Heimat nicht schoen genug, das man immer um die Welt muss?"
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Solcherlei Konversationen zwischen den Fuehrern und uns gab es viele. Wobei man auch zur anderen Seite der Reisenden ein Wort sagen sollte.
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Touristen...
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Touristen, insbesondere auf Gruppenreisen, sind anstrengend. Und so war auch unsere Reise ein wenig so la la. Natuerlich reisten wir nicht allein. Der einzige Vorteil, den wir als Delegation hatten, war, dass wir den hinteren Teil des Busses fuer uns hatten, die doppelte Zahl an nordkoreanischer Begleitung und dafuer aber bei der Buerokratie als erste und bevorzugt behandelt wurden.
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Ansonsten war es eine wilde Mischung an Leuten. Eine ebenso "Delegation" einer Firma, die unueberhoerbar aus Gyeongsang kam mit Abteilungsleitern und sonst was allem inklusive Frauen und normale Touristen, hauptsaechlich aeltere Semester, aber auch normale Ehepaare und Kinder.
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Was man im Bus erlebte, spottet jeder Beschreibung. Fuer manche war es der wohl bewegendste Moment des Lebens (noch eher als fuer mich). Die Aelteren hielten beim Abschied die Haende ans Fensterglas und begannen zu heulen, waehrend einige Damen, die den Ausflug wohl nur zum Prahlen gebucht hatten bei der Fahrt durch die Landschaft einfach nur schliefen.
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Unglaublich sowas. Auch eine Moeglichkeit: Den Norden ignorieren, die wichtigen Touristenstaetten abklappern und dann im Sueden erzaehlen wie toll Nordkorea ist. Am besten noch in Organisationen wie Ilsimhoe oder Hanchongnyeon erzaehlen wie wunderbar die Touristenstaetten bewahrt sind.
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Jedenfalls begann dann das Touristenprogramm. Zunaechst in die Berge in etwas, was im Sueden als Nationalpark oder wohl eher Provinzpark bezeichnet werden wuerde. Je weiter man von den menschlichen Siedlungen wegkam, desto mehr kam ein wenig Vegetation zum Vorschein. 20 Kilometer ausserhalb von Gaeseong schliesslich sah man richtige Baeume, erstaunlicherweise mehr Nadelbaeume als im Sueden, was mit Schnee sehr schoen aussah. Und hier war eines der hoffnungsvollen Zeichen: Zaghafte Spuren von Aufforstung in unterschiedlichen Stadien, teils erfolgreich, teils schon wieder abgehackt, aber immerhin da. Das wollte ich natuerlich fotografieren.
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Aber selbst hier, inmitten von Natur durfte man nicht fotografieren. Offensichtlich auch hier irgendwo Militaerstellungen in der Naehe.
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Und natuerlich das interessanteste Phaenomen: An jeder Strasse - wirklich jeder noch so kleinen - stehen Soldaten. Wie wir spaeter durch den Tourfuehrer herausfanden, als die Nordkoreaner wieder aus dem Bus weg waren, kontrollieren die jeden, der vorbeikommt. Das soll verhindern, das Leute, die nicht passend sind sichtbar werden. Und nicht zuletzt braucht man in Nordkorea inzwischen um von Dorf zu Dorf (!) zu kommen eine Genehmigung. Wer diese nicht hat, wird zurueckgeschickt, was die auf jeder Strasse postierten Soldaten ueberwachen.
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Ueberhaupt - hier ueberwacht die eine Haelfte des Landes, d.h. die Soldaten, die andere Haelfte des Landes. Vollkommen sinnlos. Vollkommen unglaublich.
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Ein Gefrorener Wasserfalll und ein falscher Buddhist
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Endlich im Park angekommen wieder Schmunzeln. Die Infoplatte erinnert mit ihrer handgemalten Karte eher an 50er Jahre als an das, was man von Korea heute gewohnt ist. Die daneben befindliche Tafel war weiss ueberstrichen. Was auch immer dort gewesen sein mag.
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Auf ging es - und da viele aeltere Leute auf dem Weg waren, legte man die Tour betont mit viel Zeit, was mir Zeit liess viel zu erkunden, genau hinzuschauen. Doch hier in den Bergen, wahrscheinlich aehnlich wie im Geumgang-Gebirge, kann man retuschieren, bzw. muss nicht viel verstecken, da alles ist wie in Korea: Ein Baechlein, wunderschoene Berge, grosse Baeume und irgendwo oben ein Tempel. Und doch war auch hier Nordkorea.
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Einmal abgesehen von den weiss angepinselten Steinchen, die an die Baeume auf dem Hauptweg gelegt wurden, um sie zu dekorieren, sah man schon nach wenigen Metern, das man nicht im Sueden ist. Folgendes Schild z.B.
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Es bezeichnet ein "Wisaengsil", also einen Hygieneraum, was die nordkoreanische Bezeichnung fuer Klo ist. Aber ebenso wie im Sueden die Hwajangsil (화장실) meist nur wenig mit Schminken zu tun haben, sind die nordkoreanischen Klos nicht unbedingt hygienisch. Selbst hier auf der Touristenroute haben die Klos keine Spuelvorrichtung, es fliesst einfach irgendwo hin. Waschbecken gibt es auch keine, nur eine Tonne mit Wasser, wo leider schon das meiste gefroren ist. Wenn man schon eine Show aufziehen will, dann sollte man nicht die Armen von den Strassen nehmen, sondern lieber richtige Klos einbauen! Das wuerde mich mehr beeindrucken.

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Das naechste, was unschoen auffaellt, sind die Einritzungen mit sinnlosen Sinnspruechen der Kims. An sich ist das nichts Schlimmes. Die landschaftlich schoene Gegend um Gaeseong war schon immer beruehmt dafuer, dass Adlige und normale "Touristen" bei einem Besuch ihren Namen von Dienern eingeritzt, hinterliessen, um der Nachwelt zu zeigen, wer hier war.

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Schlimm ist eigentlich daher nur, dass man bei einigen dieser sinnlosen nordkoreanischen Fuehrerkult-Spruechen sieht, dass buddhistische Inschriften oder konfuzianische Gedichte einfach abgeschliffen wurden, um so sinnvollen und originellen Spruechen wie dem obigen "Es lebe Genosse Kim Il Seong" Platz zu machen.
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Fotos vom Wasserfall, extrem gefroren, sieht man in der Galerie (ganz unten), deshalb nur so viel dazu: Er gilt als einer der 3 schoensten Wasserfaelle Koreas, weil er geradezu horizontal herausgeschossen kommt. Inspirierte viele viele Gelehrte zu Gedichten und Oden auf diesen maerchenhaften Platz. Nicht zuletzt waren auch die beruehmtesten Gisaeng-Damen hier oft zu Gast und es soll nicht selten vorgekommen sein, dass Maenner darauf warteten, bis sie sich hier zu Bade begaben...
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Weiter rauf ging es einen steilen Weg. Da fiel mir auf. Nicht nur die Wege sind anders als im Sueden, hier ist gar kein Leben. So wie die Staedte ausgestorben sind, sieht man hier kein einziges Tier, man hoert es auch nicht. Kein Vogel, kein Nichts. Einfach nur tot. Jedenfalls wurde von oben der Blick auf einige wunderschoene Gipfel, umrahmt von alten Kiefern frei - wunderschoen, malerisch und ohne Frage so inspirierend, wie es schon die Gelehrten von Songdo beschrieben.
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Doch nur kurze Zeit spaeter die Enttaeuschung namens Gwaneumsa. Das geradezu niedliche Wohnquartier der Moenche im typischen nordkoreanischen Landhausstil (kein Witz, sieht wirklich schoen aus ^^) irgendwo zwischen koreanischer Tradition und russischer Blockhuette durfte ich nicht fotografieren, dafuer begruesste uns an der wunderschoen restaurierten Haupthalle ein alter Moench, bzw. ein alter Mann.
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Dass dieser Mann kein Moench war, fiel nur mir und einer anderen Buddhistin auf. In der Haupthalle lagen keinerlei buddhistische Gesangstexte, alles war dekorativ angerichtet, ebenso wie der Spendenbehaelter neben der Buddha-Statue. Der Moench selbst in seiner brandneuen Moenchskutte guckte vollkommen verstoert. Es war sogar so, dass er die Bet-Bewegungen der Touristen nachmachte! Allerdings keine Niederwerfungen, nur normale Verneigungen. Ich wusste nicht, wer mir mehr leid tat. Der Buddhismus, der hier so ausradiert und parodiert wurde, die dummen Suedkoreaner, die drauf reinfielen oder - und dafuer entschied ich mich - der alte Mann, der wahrscheinlich von der Partei gezwungen wurde hier fuer die Partei das Aushaengeschild der Religionsfreiheit zu mimem. Man sah ihm seine Verzweiflung geradezu an.
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Das Heilwasser aus der Quelle floss auch nicht so richtig und so stiegen wir bald wieder herab. Bis hier oben hatte sich der Diesel-Gestank der Luft Gott sei Dank nicht gehalten, sodass man richtig erfrischt war.
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Suesses Kohlensaeurewasser 1 Dollar
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Und fuer diejenigen, die ein wenig was trinken wollten, hatten die geschaeftstuechtigen Nordkoreaner ueberall Plastikbuden aufgestellt, mit den immer gleichen Angeboten, natuerlich nur gegen harte Dollar. Gibt es einen groesseren Widerspruch als Dollar als offizielle Waehrung in Nordkorea? Wahrscheinlich sammelt der Norden alle Dollar der Welt auf und treibt die USA damit in den Ruin oder so...
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Jedenfalls ist das Angebot an Waren, so es sie denn gibt, ebenfalls sehr interessant, wenn man genauer hinschaut, und das sollte man als Koreanist auch bei Getraenkeflaschen, denn wie sagt Dr. Ruediger Frank zurecht:
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"Mit Koreanisch kannst du zwar die Schilder in Nordkorea entziffern, aber ohne fundierte inhaltliche Ausbildung weisst du trotzdem nicht, was sie bedeuten. Und wenn du nur Politikwissenschaften studierst, kannst du nach Nordkorea gehen und trotzdem wiederkommen ohne irgendwas zu verstehen"
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Langweiligerweise sieht Mineralwasser wohl selbst in Nordkorea nicht anders aus als anderswo auf der Welt. Aber schon bei Pfirsich-Limonade fangen die Unterschiede an:
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Um einem westlichen Begriff wie "Limonade" oder "Cider", die Bezeichnungen Suedkoreas fuer kohlensaeurehaltige Fruchtsaftgetraenke zu umgehen, nennt man seine Limonade einfach, ich zitiere recht woertlich: "Kohlensaeure(haltiges) suesses Wasser)" (탄산단물).
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Noch schoener wird der Sozialismus dann bei der Snackauswahl. Wo ich zum ersten Mal bemerkt habe, dass das Fehlen von Markenfirmen, von Markt und Wettbewerb interessante Blueten treiben kann.
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Waehrend naemlich wenigstens die Verpackungen ein wenig unterschiedlich aussehen, haben die nordkoreanischen Suessigkeiten keine so ebenso sinnlosen wie wohlklingenden Namen wie "Banana Kick" oder "Chocoheim". Vielmehr heissen die grandiosen Snacks der Werktaetigen von Baekdusan bis Gaeseong "Suessigkeiten". Oder eben "Brot". Wie man sieht, sind unterschiedlich verpackte "Brote" von zwei unterschiedlichen Firmen erhaeltlich. Aber beide heissen "Brot". Und mehr Info gibts nicht.
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Im "Zentrum"
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Weiter ging es zum Mittagessen in die Stadt, genau genommen wieder zurueck ins Stadtzentrum zu dem Kaufhaus ohne Kaeufer. Am Huegelende die grosse Statue von dem gewissen Herren Kim, den die Leute hier anbeten duerfen/muessen.
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Das Tongilgwan, das beste Restaurant am Platze erwartete uns schon sehnlich. Sozialistischer Prachtbau, jedoch auf die Groesse einer 300.000-Einwohner-Stadt geschrumpft. Auf dem Tisch Plastik ueber der Tischdecke, damit man die nicht so oft waschen muss. Auf einem Bildschirm laufen die Klassiker der Revolutionsmusik von "Ich sehne mich nach Pyeongyang" ueber "Der Genosse Kim ist mein Liebhaber" und "Kimchi Ggakdugi" bis hin zu "Die Rote Flagge ist die schoenste" und "Unser Fuehrer Kim Jong Il".
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Das Essen war unglaublich lecker. Das typische Essen Gaeseongs, Reis und 12 weitere Schaelchen mit allerlei Leckereien von Galbijjim, Kimchi und aehnlichem bis hin zu halben Eiern, frittiertem Fisch und dem ersten essbaren Yakgwa meines Lebens!
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Ueberhaupt - das Essen war grandios. Vor allem, dass man hier weniger Chili und mehr Pfeffer benutzt, laesst das ganze denke ich insbesondere fuer Auslaender besser munden.
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Trotzdem liess ich die Haelfte des Essens uebrig - denn wie ich mich vorher informiert hatte und vieldeutig von einem der suedkoreanischen Fuehrer erfahren hatte "weggeschmissen wird hier nichts". Ob es nun die Angestellten im Restaurant, Schulkinder oder Parteigenossen bekommen, irgendjemandem wird es zugute kommen.
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Und beim Essen rutschte dann einigen Suedkoreanern auch etwas "Ungewolltes" raus. So prosteten sich die Herren neben mir zu: "Hach...eine einfache Huehnersuppe...sowas hatte ich das letzte Mal vor 20 Jahren...und der Soju ist noch fuer echte Maenner".
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Tatsaechlich hat der Soju im Norden 3% mehr - und die schmeckt man ganz schoen ordentlich.

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Die Bedienungen sind allesamt handverlesen und ab einer gewissen Groesse. Da leider heutzutage nicht genug auf die noetige Groesse von 1.65m fuer Frauen kommen, wird bei einigen mitunter mit schwindelerregend hohen Schuhen geschwindelt, die das Fortbewegen nicht unbedingt erleichtern.
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Die Bedienung, die im Bild zu sehen ist, war uebrigens das, wie man sich eine alte Dame aus der Joseon-Dynastie vorstellt...und irgendwie kam sie ja tatsaechlich aus Joseon, wenn auch der Volksrepublik und die Dynastie war nicht die Yi- sondern die Kim-Dynastie. Ein Charme, der alle gefangen nahm, eine ausgewaehlte Freundlichkeit und Aufmerksamkeit und dabei ein Witz, eine Stimme, ein Laecheln. Da war das ausgelutschte koreanische Sprichwort 남남북녀 (Maenner im Sueden, Frauen im Norden), das beschreibt, wo die attraktiven Menschen sind wieder einmal extrem wahr. Ueberhaupt sind die nordkoreanischen Frauen wirklich grandios. Wenn man sie nicht gerade zu Rummelnuttenschminke wie in den Souvenir-Laeden zwingt, haben sie eine natuerliche Schoenheit, die grandios ist und sich nicht unbedingt nur aufs Aussehen bezieht.
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Uebrigens, auch hier, im feinsten Restaurant, fuer Touristen aus Feindesland, scheint die Ressource Waerme nicht ausreichend, um den Saal aufzuheizen. Die Nordkoreaner frieren aber nicht sichtlich, nur wir ziehen uns unsere Jacken an.
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Stadtrundstand
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Beim anschliessenden Blick auf die Innenstadt frieren wir fast fest. Dadurch, dass die Gebaeude recht aufgelockert stehen und es so gut wie keine Vegetation gibt, die den Wind aufhaelt, peitscht er geradezu durch die Strassen.
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Was auffaellt, sind die handgemalten Strassenschilder, teils sogar aus Pappe.
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Direkt gegenueber des Nichtkaufhauses ist eine riesige Baustelle, Haeuser wurden abgerissen, ein mit roten Flaggen dekorierter Kran steht da - aber keine Bauarbeiter. Kein Baugeraet, kein Material. Was kommt hier hin, was war hier mal - was soll das? Erfahren werden wir es nicht. Unsere Stadtfuehrung ist darauf beschraenkt zu Fuss bis zur Bordsteinkante zu gehen. Herunter duerfen wir leider nicht, wie es heisst"aus Sicherheitsgruenden", wir wuerden den Verkehr behindern.
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Der Verkehr, hier leider nicht wie in Pyeongyang von schoenen Damen in schoenen Uniform, sondern von haesslichen Maennern in noch haesslicheren Uniformen geleitet, existiert nicht. Alle Minute ein paar Fahrraeder, doch dann passiert es: Ein VW-Passat, schwarz, neuestes Modell mit Wurzelholz. Drinnen einige hohe Militaers. Sind wohl selbst geschockt, dass sie hier entlang gekommen sind als wir da sind und beschleunigen ploetzlich das Tempo.
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Nicht mal zum Suedtor der alten Stadt duerfen wir ruebergehen. 30 Meter trennen uns, Fotos duerfen wir keine machen "Die Bewohner der Umgebund fuehlen sich gestoert durch die vielen Touristen".
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Die Nordkoreaner begegnen uns sehr unterschiedlich. Einige winken freundlich, andere gucken (wie man es aus den Dokus kennt) bewusst in eine andere Richtung und ignorieren uns.
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Weiter geht es zur alten Privatakademie, wo der legendaere General Jeong Mong-ju, einer der Vier Helden der Stadt, lebte und lehrte.
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Treue bis in den Tod
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Weshalb es als naechstes in einen anderen Stadtteil Gaeseongs ging, der auch nicht besser wurde. Genau genommen wurde es noch schlimmer. Wo im Zentrum noch Schulen mit Spielplaetzen waren, ging es nun vorbei an vollkommen desolaten Siedlungen bzw. zersiedelten Ansiedlungen, Fabriken, in deren Ruinen die Kinder spielten - die Fluesschen nebenan waren aber trotzdem gruen und braun, was fuer die Existenz irgendeiner Art von Industrie irgendwo Zeugnis stand und ploetzlich tauchte, in einem ummauerten Gebiet, inmitten einer Parkanlage ein renovierter Plattenbau auf. Das einzige Hotel der Stadt. Aber Hotel hiess es nicht, sondern es hatte einen komplizierten Namen und wir erfuhren, dass hier gerne Verhandlungen zwischen Sued und Nord stattfinden wuerden, allerdings die etwas Geheimeren. Zudem sahen wir nebenan zum ersten Mal das, was ein annehmbares Wohnhaus war: Gepflegter Garten, gestrichener Zaun, schoenes altes Ziegelhaus, moderne Fenster. "Wer hier wohnt duerfen wir nicht wissen", war der Kommentar der Touristenfuehrer aus dem Sueden.
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Jedenfalls waren wir an einer DER bekanntesten Touristenattraktionen der gesamten Halbinsel angekommen, der Seonjuk-Bruecke, wo besagter Jeong getoetet wurde und damit das Schicksal der sterbenden Goryeo-Dynastie besiegelt war. Sein Blutfleck ist angeblich immer noch zu sehen und tatsaechlich sieht man etwas rot-braunes, was ein Blutfleck sein koennte - waeren da nicht die 400 Jahre seit der Ermordung. Wie auch immer. Weiter in einen wunderschoenen kleinen Schrein und zur Ueberraschung aller, dann auch direkt rein. Der Umgang mit kulturellen Staetten des Nordens ist...problematisch bis aufregend.
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Dass man alles anfassen darf, ist vielleicht ganz nett, aber tut den Ueberresten bestimmt nicht gut. Trotzdem ein interessantes Erlebnis einer 26-Tonnen-Schildkroete so gegenueber zu stehen - man koennte aus dem Norden touristisch echt was machen.
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Museum zum Anfassen
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Bleiben wir ruhig beim Umgang mit Kulturschaetzen und vergleichen wir mal wieder, was wir ja nicht tun sollen. Zunaechst das Tolle. Architektonisch ist der Norden was das Traditionelle angeht sehr erfrischend. Der Stil ist ein wenig chinesischer in der Form (An den Seiten Steinwaende, viele Gebaeude weiss getuencht), aber irgendwie doch sehr typisch koreanisch und auf jeden Fall insbesondere der Kontraste wegen sehr schoen.
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Man hat hier in den Resten der ehemaligen Konfuzianischen Akademie der Goryeo-Dynastie durch die Steinbauweise auch mehr "echte" Relikte aus alten Zeiten. Das Hauptgebaeude, ebenso wie die Baeume im Vorhof sind einfach mal locker 1000 Jahre alt.
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Zu viel versprochen? Die Kontraste des blauen Himmels, der gruenen Nadelbaeume und der weissen Gebaeude sind unglaublich schoen...es kommt bei vielen Gebaeuden fast ein wenig suedlaendisches Flair auf. 90% aller Fenster in den traditionellen Haeusern im Norden sind hellblau...Man kommt sich teilweise wie in einem - zugegebenermassen heruntergekommenen - griechischen Inseldorf vor.
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Ich praesentiere hiermit stolz das einzige echte bewohnte nordkoreanische Haus, das ich durch die Kontrollen bekommen habe. Da es mittendrin war, hat der Beamte es wohl fuer ein Akademiegebaeude gehalten.

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So sieht, so kann man sagen, das typische nordkoreanische Landhaus aus. Dieses Haus ist natuerlich penibel renoviert und restauriert, da es direkt an der Aussenmauer der Konfuzianischen Akademie liegt, aber man bekommt einen guten Eindruck vom Stil, der mir sehr gut gefallen hat. Wenn man da jetzt noch ein schoenes traditionelles Dach draufsetzt, sollte man diese gesamte Architektur behalten. Doch bereits im Hintergrund erkennt man ein paar kleinere Huetten. Und das sind wohl keine Schuppen. Bal wurde ich aber von Nordkoreanern zurueck in die Akademie gerufen, wenn auch freundlich und nett wie auf der gesamten Reise.
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Vollkommen perplex war ich dann als mich ein Nordkoreaner ansprach, weil er mitbekommen hatte, dass ich Koreanisch kann. In hoher Sprechstufe redete er, aber was er sagte, war so unfehlbar Nordkoreanisch, dass ich gar nicht antworten konnte.
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"Herr Lehrer 'Ami-Bastard' sprechen die Joseon-Sprache aber gut" ("우리 미국놈 선생님 조선말 잘 하시네요")
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Auch wenn Bastard fuer die pejorative Anrede "nom" sicher zu hart ist (wird trotzdem meist so uebersetzt), dann war das trotzdem unglaublich. Jemanden selbst mit Hoeflichkeitssuffix anzureden, aber im Falle eines Amerikaners war er fuer seine Herkunft bereits schon mal zu beleidigen. Insbesondere die gemeinsame Verwendung vom hoeflichen nim und pejorativen nom in ein und demselben Satz war unglaublich verwirrend. Dazu kam, dass er Koreanisch im Jargon des Nordens beschrieb.
Also wollte ich antworten:
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"Ja also die Suedseitensprache...ehm also "Koreanisch" wie man es im Sueden bezeichn...mhh..komisch..also "Joseon-Sprache", ja sprech ich ein wenig."
("네...남측말..아니...남측에서 한국말이라는....흠...이상하네....조선말 좀 해요")

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Doch zurueck zur Akademie, in deren Nebenfluegeln man ein Museum eingerichtet hat, das diesen Namen kaum verdient. Ich lobe die koreanischen Museen ja immer fuer ihren interaktiven Charakter, ihren Mitmach-Faktor, aber da blutete mir wieder Mal das Herz.
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Als Beispiel moechte ich einen Steinsarkophag mit ausgesprochen detaillierten, wunderschoenen Gravuren nennen, der zurecht als Nationalschatz deklariert ist und dies auch im Sueden waere. Nur waere er, wer das suedkoreanische Nationalmuseum als Vergleich kennt, wird mir zustimmen, in einer freistehenden Vitrine, angestrahlt, richtig ausgelueftet, praesentiert.
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Wie praesentiert nun also Nordkorea seinen Nationalschatz?
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Wie in einer Schueler-Ausstellung haengen drumherum Pappen mit aufgeklebten Info-Blaettern und Bildern, alles schoen mit Filzstiften dekoriert, der Sarkophag - ihr seht richtig - in einer offenen Vitrine.
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Die Fuehrerin ermutigt sogar: "Fassen Sie an, koennen Sie fuehlen welch grossartige Kunstfertigkeit unsere Vorfahren hatten?". Waehrend ich dachte, dass das wohl nicht mehr viele erleben werden koennen, wenn da staendig Touristen druebertatschen.
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Nicht besser waren Seidereste aus dem Jahr 900, die in einem Passepartout mit Plastikfolie "isoliert" waren. Und nebendran immer wieder bedeutungslose Tafeln mit riesigen Ausspruechen Kim Jeong Ils.
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Wie mir als Liebhaber koreanischer Kunst das Herz blutete, braucht man nicht erwaehnen. Hier durfte man alles fotografieren, man war zurecht stolz auf die grossen Schaetze des Museums. Auch eine wunderbare Sammlung von echtem Goryeo-Seladon, nach der sich jedes Museum dieser Welt mit ein wenig Ahnung von asiatischer Kunst die Finger lecken wuerde. Aber, dass ihre Art der "Konservierung" in Wahrheit schlimmer ist als die Kunstwerke wieder einzubuddeln, so wie sie die letzten 900 Jahre ueberlebt haben, das merken die Nordkoreaner wohl nicht.
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Stattdessen bekommt eine der Fuehrerin auch noch von den Suedkoreanern fuer ihren ruehrenden nationalistischen Vortrag ueber einen Goryeo-General Szenenapplaus. Es ist das einzige Mal, dass wir mit der nordkoreanischen Propaganda-Version von Geschichte aktiv gefuettert werden - und die begeisterte Reaktion aller Generationen von Suedkoreanern ist mir nicht geheuer.
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Ebenso wenig verstand ich wie die Suedkoreaner auf der abschliessenden Shoppingtour durch Kitsch-Laeden foermlich die Regale mit immer gleichen Waren leerkauften. Die Dollar flogen nur so durch die Gegend und der Parteisekretaer, der am Eingang im Ledersessel das ganze betrachtete, laechelte zufrieden. Wer jemandem aus dem Sueden eine Packung Pinienkerne, die es in einem koreanischen Supermarkt fuer 2.000 Won zu kaufen gibt, hier fuer 7 Dollar andreht, der ist nicht nur ein schlauer Sozialist bzw. Kimilseongist, sondern auch bestens gewappnet fuer den Kapitalismus, den man hier schon sehr gut verstanden zu haben scheint.
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Inzwischen gibt es auch Werbung, wenn auch auf Nordkoreanische Art:
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Auch hier wieder die typisch nordkoreanische Diktion. Waehrend man im Norden weiterhin "Reisender" (려행자) sagt, ist im suedkoreanischen die Bezeichnung 관광객 verbreiteter (was dann ins Deutsche uebertragen "Tourist" waere).
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Wie auch immer, die Reise neigte sich dem Ende zu. Auf dem Rueckweg wieder die gleiche Buerokratie-Prozedur und vorher eine abschliessende Tour durch den vom Sueden gebauten Industriekomplex. Das abschliessende "Lasst uns wieder treffen" der nordkoreanischen Fuehrer klang echt, authentisch. So wie diese Menschen authentisch waren.
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Nordkorea hat ein Gesicht bekommen
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Suedkoreaner wiederum gingen an diese Reise noch unbefangener - um nicht zu sagen naiver ran - als ich mir das je vorstellen konnte, und das obwohl ich die Meinungen zu Nordkorea vieler Suedkoreaner nur mehr als zu gut kenne. Das ist der Grund, warum eine Partei, deren einer Fluegel direkte Anweisungen aus Nordkorea bekommt, bei den letzten Parlamentswahlen immerhin mehr als 10% der Stimmen holen konnte.
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Die Bewunderung fuer dieses Land Nordkorea, das sich gegen alle Widrigkeiten behauptet, allein gegen alle und doch so koreanisch ist wie der Sueden wohl nie wieder werden wird, das zeigt aber nicht nur bei den Suedkoreanern Wirkung. Selbst ich sehe trotz all der Widersprueche und Schrecken, die ich selbst in dieser "Light-Version" gesehen habe, etwas unglaublich Faszinierendes, Attraktives an dem Land bzw. vor allem seinen Leuten. Willensstaerke und Zufriedenheit, all dies sind Werte, die vielen Nordkoreanern, die wir getroffen haben, ins Gesicht geschrieben standen. Auch sie, obwohl sind handverlesen und gebildet sind, haben keinen Schimmer von der echten Welt da draussen, aber irgendwie strahlen sie eine Zufriedenheit aus, die man nicht spielen kann. Die nordkoreanische Propaganda, die unsichtbare Regie, die man sieht, die von der Armee ueberwacht wird, ist dillettantisch, sie kann keinen aufmerksamen Beobachter taeuschen. Nur suedkoreanische Ajummas auf Abenteuerurlaub.
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Trotzdem beeindrucken diese Nordkoreaner als Menschen, die mit diesen Schwierigkeiten zurecht kommen. Auf den kahlen Bergen sieht man ueberall eingetretene Pfade. Diese Pfade haben keine Serpentinen - sie gehen nicht am Hang entlang. Sie fuehren einfach geradeaus den Berg hoch.
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Dies ist das Wesen der Nordkoreaner - ein beeindruckendes Volk, das sich gegen Widrigkeiten stemmt, das sein Leben meistert, mit dem man kaum tauschen moechte.
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Die Sonnenscheinpolitik aber, soviel sei noch gesagt, ist eine Politik der ganz ganz kleinen Fortschritte, es ist keinerlei Zeit fuer Jubel angebracht. Die Fortschritte sind da, aber sie sind klein. Es stehen moderne Gebaeude im Industriekomplex. Einige Soldaten haben Computer und einen VW Passat - dies sind aber keine qualitativen Verbesserungen. Die Show geht weiter, man versucht die Touristen, selbst wenn man sie hineinlaesst, mit allen moeglichen Mitteln daran zu hindern, Informationen rein oder raus zu nehmen. Erst wenn sich das aendert, wird es qualitative Fortschritte geben. Bis dahin ist das, was passiert ein fuer beide Seiten irgendwie produktiver Geldaustausch mit dem Tourismus als schoene Kaschierung des ganzen "Arbeitssklaven gegen Devisen"-Handels. Was Kim Dae Jung sich bei seiner Sonnenscheinpolitik dachte, war etwas anderes.
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Nordkorea ist noch immer eine Kulisse, so wie das Propaganda-Dorf Gijong mit dem hoechsten Flaggenmast der Welt, von dem ich verbotenerweise - aber nach der Fotokontrolle im Bus nach Suedkorea - ein Foto machen konnte.
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Jetzt koennte man natuerlich sagen: "Hey, wenn sie unwissend gluecklich sind, dann lass sie doch in Ruhe ihr Leben leben". Koennte man - als Buddhist und nicht nur als solcher sollte man aber immer versuchen sich aus Unwissenheit zu befreien. Und Freiheit ist ein schoenes Wort,in Nordkorea erfaehrt man besonders eindrucksvoll, wozu Unfreiheit fuehrt und warum man auf der ganzen Welt gegen Unfreiheit kaempfen sollte.
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Auch in Nordkorea sind nicht alle gleich arm, nie waren fuer mich soziale Unterschiede so extrem sichtbar. Und trotzdem ist meine blinde Negativ-Haltung differenzierter geworden. Aehnlich wie das erste Mal als ich mit Opfern der Park-Regierung geredet habe, wird mein Bild ausgeglichener. Ich sehe Facetten und verbinde mit Nordkorea ein Gesicht. Es ist nicht mehr das Gesicht Kim Jong-Ils.
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Es ist auch das Bild der Menschen, die ihre Bergwege senkrecht hinauf klettern.
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Das andere Korea

17 Kommentare 덧글:

Anonym hat gesagt…

glückwunsch zu der erfahrung. trotz der länge fand ich den bericht sehr spannend...

Gomdori@KU hat gesagt…

..ja ich bewunder leute, die sich da in einem durchkaempfen..aber dank zwischenueberschriften isses ja einigermassen strukturiert...^^

hat sich ziemlich schnell angeschrieben das zeug..musste ne menge runter an eindruecken, damit ich endlich aufhoere an jeder strassenecke seouls, bei jedem bestellten essen an nordkorea zu denken..

Jinieee hat gesagt…

kann mich dem jakub da nur anschliessen. zwar schon spaet, aber den musste ich einfach bis zum ende gelesen haben :) sehr, sehr interessant.

bis vllt morgen. meld mich dann.

Anonym hat gesagt…

Da lässt Du keinen Moment aus über den Norden zu lästern und dann machst Du diese Tour mit und steckst den Freunden im Norden 200USD in den Arsch...
Passt irgendwie nicht so zusammen...

Anonym hat gesagt…

da muss ich den jan ausnahmsweise mal in' schutz nehmen - er hat keinen cent fuer diese tour ausgegeben!

Gomdori@KU hat gesagt…

und wenn du das "laestern" nennst.....dann bitte ich das mal ein wenig zu spezifizieren?

ich find es jedenfalls gewagter von aussen solch ein regime in schutz zu nehmen als es nach eigenem ansehen zu kritisieren.

p.s. dass diese tour umsonst war und ich dem regime kein geld gebe, das war ja gerade der grund, warum ich jahrelang gewartet habe nach nordkorea zu reisen -.-

Anonym hat gesagt…

der hamma ;)

geilester satz:
"Nur suedkoreanische Ajummas auf Abenteuerurlaub."
wenn das mal keine geile alliteration ist ;)))

yj

Jens-Olaf hat gesagt…

Ein Lob: Ich habe einen Aktenordner voll Nordkorea-Presseberichte der letzten 15 Jahre. Manche sind gut, manche wiederholen sich. Warum? Weil die meisten Journalisten die Sprache nicht verstehen, weil sie keine Kunstkenner sind, weil sie Landschaft nicht lesen können. Du bist der Erste, der von den geraden Pfaden ins Gebirge berichtet.

Anonym hat gesagt…

Glaubst Du die Tour war umsonst?
KTO hat dafür bezahlt, und das macht meiner Meinung keinen Unterschied!

@Jens Olaf
Diese Tour ist doch nicht Nordkorea, das ist doch nur eine Show Tour für Suedkoreaner.Es gibt genug Leute die schon wirklich in Nordkorea waren :-) also bitte sehe diesen Bericht nicht so überschwänglich...

Anonym hat gesagt…

Hi, ich wollte dir auch mal ein Kommentar hinterlassen, da ich desoefteren dein Blog lese.
Ein sehr interessanter Bericht! Waere auch gerne mitgefahren...
Gruss,
Philipp

Anonym hat gesagt…

also ich stimme zwar anonym in dem punkt "bezahlung" definitiv zu... ob die KTO pro person bezahlt oder man das aus eigener tasche blecht - wenn man das regime nicht unterstützen möchte dann passt das nicht zusammen...

aber eins sollte doch klar sein: wer da mitreden will, der muss auch über die erfahrung verfügen. für jemanden der sich so stark für korea interessiert ist es eine pflicht solch eine tour zu machen allein um später das "recht" zu haben, sich dazu fundiert äußern zu können. wer etwas nicht kennt, den kann man in einer diskussion dann da auch nicht ernst nehmen. (mit ein grund warum ich mit jan gar nicht erst über japan diskutiere, hehe, aber das ist ein anderes thema) dementsprechend ist es nur richtig diesen trip gemacht zu haben und dank des ausführlichen berichts kann sich nun auch jeder von uns überlegen, ob das als meinung ausreicht und man dieses wissen für sich selbst verwendet, oder ob man doch noch einen eigenen eindruck gewinnen und selbst mal hinfahren möchte.

ich bin auf jeden fall sehr froh dass jan diesen trip gemacht hat, so viele details hätten viele andere auf einem "touristen-trip" sicherlich nicht mitbekommen.

Gomdori@KU hat gesagt…

und ich bestehe noch mal drauf, dass wir nix bezahlt haben...das war ne reine geste der freundlichkeit von hyundai, weil die promo haben wollen ^^

...
und ob wir den platz belegen oder ne koreanische mutti, das macht fuers regime keinen unterschied

und wie gesagt..im gegensatz zur mutti habe ich dneke ich recht genau mitbekommen, was show war und was nich...

Tom hat gesagt…

Ein Bericht von großer Länge, las sich sehr genussvoll.

Wenn man den Bericht "Diggen" könnte, ich hätte mich extra dafür angemeldet!

Jens-Olaf hat gesagt…

@anonymus

Mein Lob galt den Beobachtungen, die Rückschlüsse wiederum, die man daraus zieht sind etwas ganz anderes.

Anonym hat gesagt…

WOW! Wahnsinniger Bericht! Du schreibst generell tolle Berichte, aber das war echt der Hammer!!!
Du MUSST mir unbedingt mehr davon erzaehlen, wenn wir uns sehen :P
krass krass krass....

Anonym hat gesagt…

Danke fuer den hoechst lesenswerten und interessanten Bericht!
Verena

Ruth Scheidhauer hat gesagt…
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